Mit dem Beschluss vom 08.07.2021 (Az. 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17) entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen gemäß §233a AO verfassungswidrig ist, sofern zur Zinsberechnung für die Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 ein Zinssatz von monatlich 0,5% zugrunde gelegt wurde.
Was heißt das?
Führt die Festsetzung der Einkommen-, Körperschaft-, Umsatz- und Gewerbesteuer zu einem Unterschiedsbetrag zwischen vorab entrichteter Steuer (z.B. Lohnsteuer) und der im Steuerbescheid festgesetzten Steuer (z.B. Einkommensteuer), ist dieser Unterschiedsbetrag zu verzinsen. Allerdings beginnt die Verzinsung erst dann, wenn es zu einer verspäteten Abgabe der Steuererklärung gekommen ist.
Wann beginnt die Verzinsung?
Die Verzinsung beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Die Einkommensteuer entsteht für einen Großteil der Steuerpflichtigen mit Ablauf des Kalenderjahres am 31.12. Der Zinslauf für die Einkommen- und Körperschaftssteuer beginnt 21 Monate nach dem Zeitpunkt, wenn die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft bei der erstmaligen Steuerfestsetzung überwiegen.
Maßgeblich für die Zinsberechnung ist die festgesetzte Steuer, subtrahiert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge und um die bis zum Beginn des Zinslaufs festgesetzten Vorauszahlungen. (Unterschiedsbetrag)
Der §233a AO regelt die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen. Die Vollverzinsung betrifft den Zeitraum zwischen der Steuerentstehung und ihrer Festsetzung. Die Zinsen betragen für jeden vollen Monat 0,5%, sodass daraus ein Jahreszinssatz von 6% wird.
Mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 08.07.2021 kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Verzinsung von 6% pro Jahr legitim gewesen ist. Das ursprüngliche Ziel der Vollverzinsung war, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern der Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgelegt und fällig werden und ein Steuerschuldner, dessen Steuer spät festgesetzt würde, dadurch einen Zinsvorteil erlangen könnte. Die Vollverzinsung zulasten der Steuerpflichtigen mit einem Zinssatz von monatlich 0,5% bis zum Ende des Jahres 2013 sieht das Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß an.
Die Finanzkrise im Jahr 2008
Das Bundesverfassungsgericht ist der Überzeugung, dass der Zinssatz von 0,5% pro Monat spätestens seit dem Jahr 2014 nicht mehr gerechtfertigt ist. Nach Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 habe sich ein Niedrigzinsniveau entwickelt, das mit üblichen Zinsschwankungen nicht erklärt werden könne. Lag der Basiszinssatz im Jahr 2008 noch bei über 3%, sank er im Jahr 2009 auf 0,12%. Seit Januar 2013 liegt er sogar im negativen Bereich. Aufgrund der Tatsache, dass sich der Diskontsatz in den fünfzig Jahren seines Bestehens zwischen 2,5% und 8,75% und sich der Basiszinssatz vor 2009 zwischen 1,13% und 3,32% bewegte, spricht das Bundesverfassungsgericht davon, dass dieses Zinsniveau zurzeit nicht mehr Ausdruck üblicher Zinsschwankungen sei, sondern spätestens seit dem Jahr 2014 ein nachhaltiges und strukturelles Problem darstelle. Ein entsprechender Trend würde sich auch in der Entwicklung der Zinsen am Kapitalmarkt zeigen.
Reaktion des Bundesverfassungsgerichtes
Das Bundesverfassungsgericht verpflichtet den Gesetzgeber, bis zum 31.07.2022 eine Neuregelung des Zinsniveaus vorzunehmen. Die Neuregelung soll rückwirksam gültig sein auf alle Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2019 und soll alle noch nicht bestandskräftigen Steuerbescheide erfassen.
Begriffserläuterung:
Die Abgabenordnung, abgekürzt AO, ist das elementare Gesetz des deutschen Steuerrechts. Da sich in ihr die grundlegenden und für alle Steuerarten geltenden Regelungen über das Besteuerungsverfahren befinden, wird die Abgabenordnung auch als Steuergrundgesetz bezeichnet.
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