Ein Staat ist nur handlungsfähig, wenn er Steuereinnahmen generiert. Mit ihnen werden Straßen gebaut, Richter, Lehrer und Polizisten bezahlt und vieles mehr. Kaum jemand zahlt gerne Steuern, obwohl sie für das Überleben des Staates an sich notwendig sind. Gleichzeitig bemüht sich der Staat um ein gerechtes Steuersystem durch die Steuerprogression.
Aber was heißt das eigentlich: Steuerprogression?
Das Wort Progression stammt aus dem lateinischen Wort progressio und heißt übersetzt Fortschritt. Wer wenig Einkommen hat, zahlt niedrige oder gar keine Steuern, wer mehr verdient, zahlt höhere Steuern. Mit höherem Einkommen wird der Anteil eines jeden Einzelnen höher. Der Gedanke des Staates ist, je mehr jemand verdient, umso mehr sollte er in die Staatskasse einzahlen, um die Staatsausgaben zu finanzieren.
Wer jetzt meint, dass es einen festen Steuersatz für ein niedriges Einkommen gibt und einen festen Steuersatz für ein hohes Einkommen, liegt falsch, denn es wird nicht das ganze Einkommen versteuert. Der Staat hat dafür ein Stufensystem entwickelt, das für verschiedene Teile des Einkommens eine separate Versteuerung vornimmt. Die Summe der einzelnen Steuern wird am Ende addiert und zum Steuerbescheid zusammengetragen. Die Stufenregelung nennt der Gesetzgeber Tarifzone, von denen es insgesamt fünf gibt.
Als Basis zur Berechnung der Steuern für die Einkommenssteuererklärung dient das Jahresbruttoeinkommen. Bevor es aber zur Berechnung der abzuführenden Steuern kommt, subtrahiert das Finanzamt vom Bruttoeinkommen allerlei Freibeträge wie Werbungskosten, Kinderfreibeträge und Sonderausgaben. Das Ergebnis dieser Subtraktion nennt der Gesetzgeber: Das zu versteuernde Einkommen. Für die Berechnung der Steuern wird immer das Jahreseinkommen betrachtet, was dazu führt, dass zum Beispiel bei einer Beschäftigungsdauer von nur neun Monaten, zu viel Steuern berechnet werden, die der Arbeitnehmer nach Einreichung seiner Einkommensteuererklärung zurückerstattet bekommt.
Der Grundfreibetrag
Aktuell beträgt der Grundfreibetrag 10.347 €. Wer im laufenden Jahr nicht mehr als diese Summe verdient hat, bezahlt an den Staat überhaupt keine Steuern. Der Grundfreibetrag wird auch als steuerfreies Existenzminimum bezeichnet und hat Gültigkeit für alle Einkommen, auch für die höheren. Wer etwa ein millionenschweres Einkommen bezieht, zahlt auch für die ersten 10.347 € keinen einzigen Cent Steuern.
Was ist, wenn ich 10.349 Euro in einem Jahr verdient habe?
Nach Abzug des Grundfreibetrages in Höhe von 10.347 € bleiben für die Versteuerung zwei Euro übrig. Der Eingangssteuersatz beträgt vierzehn Prozent. Es werden somit 28 Cent Steuern berechnet.
Sehen wir uns die Tarifzonen im Einzelnen mal an
- In der Tarifzone eins bis zu dem Grundfreibetrag werden keine Steuern bezahlt.
- In der Tarifzone zwei mit einem Einkommen von ungefähr 15.000 € werden Steuern von 14 % bis 24 % berechnet.
- In der Tarifzone drei mit einem Einkommen von rund 60.000 € werden Steuern von 24 % bis 42 % berechnet.
- Doch der Steuersatz steigt nicht unendlich. Ab einem jährlichen Einkommen von 58.597 € wird der Spitzensteuersatz von 42 % erreicht. Aus der ansteigenden Steuerkurve nach oben wird eine waagerechte Linie.
- Es gibt aber noch einen weiteren Steuersatz ab einem Jahreseinkommen von 277.826 € (Stand 2022). Es ist die Proportionalzone II, manche nennen sie auch Reichensteuer. Dieser Steuersatz beträgt 45 Prozent auf alles über 277.826 €.
Die kalte Progression
Mit steigendem Einkommen steigt auch die Steuerlast, die im Extremfall bis zu 45 % betragen kann. Wenn aber trotz Lohnerhöhung oder Gehaltserhöhung und die damit verbundenen Abgaben es zu einer steuerlichen Mehrbelastung für den Einzelnen führt, etwa durch gestiegene Preise für Gas, Strom, Lebensmittel oder einer zurzeit achtprozentigen Inflation, spricht man von einer kalten Progression. Gerade im Niedriglohnsektor und bei Beziehern von mittleren Einkommen wird das sehr deutlich. Die stetig höheren Preise und die gleichzeitige Abwertung des Geldes in Form einer Inflation machen Lohn- oder Gehaltserhöhungen wirkungslos.
Um es kurz zu sagen: Am Ende bleibt immer weniger Geld übrig. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Binnennachfrage, weil die Konsumbereitschaft abnimmt, sondern spült auch eine große Menge Geld in den Staatshaushalt. Die mit der kalten Progression schleichende Steuererhöhung beschert dem Finanzministerium Rekordeinkünfte. Diese Mehreinnahmen bilden dann die Grundlage für Steuerreformen, Steuererleichterungen und weitere Entlastungen. Damit wird den Bürgern ein Teil der kalten Progression wieder ausbezahlt. Würde das Steuersystem so abgeändert, dass die jährlichen Preissteigerungen Berücksichtigung finden würden, könnte die kalte Progression vermieden werden. In einigen Ländern wie in Frankreich, der Schweiz oder den Vereinigten Staaten von Amerika ist dies bereits der Fall.